Am Puls der Finanzmärkte
Die Konstanzer Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Roxana Halbleib wird für ihr Forschungsprojekt zur Vorhersagbarkeit von Finanzrisiken durch das Heisenberg-Programm gefördert
Die Finanzkrise von 2008 verursachte bei den US- und europäischen Banken Verluste, deren Höhe der Größe des Bruttoinlandsprodukts der führenden europäischen Länder entsprach. Die Verluste wurden im Wesentlichen durch Steuergelder ausgeglichen. Die Konstanzer Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Roxana Halbleib forscht zur Vorhersehbarkeit von Risiken in der Finanzwirtschaft. Sie nutzt dazu große hochfrequente in Nanosekunden abgerufene Finanzdatensätze – financial big data –, um die Risikoprognosen zu verbessern und die entsprechenden möglichen Verluste zu minimieren. Für ihren neuen Ansatz, Risikomodelle auf der Basis der Aktivitätszeiten zu entwickeln, ist sie nun deutschlandweit als erste Frau in der Wirtschaftswissenschaft in das renommierte Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen worden.
Der Finanzmarkt liefert wegen der gebotenen Anonymität der Akteure keine individuellen Daten, weshalb keine Aussagen über einzelne Akteure gemacht werden können. Was der Wirtschaftswissenschaft zur Verfügung steht, sind Daten zu Aktienpreisen, die sich in Zeitreihen ausdrücken. Was während eines Tages passierte, blieb lange Zeit in der mathematischen Modellierung unberücksichtigt. Heute, in Zeiten des Online- und des algorithmischen Handels, vollziehen sich die Bewegungen an den Finanzmärkten in Nanosekunden. Die entsprechenden hochfrequenten Preis- und Handelsinformationen stehen tatsächlich seit 2000 zur Verfügung und ermöglichen, für die Risikoforschung Data Science zu nutzen. Roxana Halbleib hat mit Drittmitteln unter anderem von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und vom Zukunftskollegs der Universität Konstanz einen Datensatz der New Yorker Börse gekauft, der den Aktienhandel von 2009 bis 2019 abbildet.
Während der Ansatz, ein Datum pro Tag zu erheben, einen enormen Informationsverlust bedeutet, liefert die Zeitreihe, die die Aktivitäten in Nanosekunden wiedergibt, zu viele Daten für die Entwicklung eines Prognosemodells. Bislang behalf man sich damit, dass in regelmäßigen Abständen, alle fünf oder zehn Minuten, Stichproben genommen wurden. Roxana Halbleib: „Wer sagt, dass alle fünf oder zehn Minuten ein Ereignis passiert, das ein Risiko ergibt?“ Ihre neu entwickelte Methode weicht von der klassischen Praxis ab, die Marktaktivität in regelmäßigen gleichgroßen Zeitabständen zu messen.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin, die seit 2011, gefördert durch das Margarete von Wrangell-Programm, am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften tätig ist und seit 2013 Mitglied im Zukunftskolleg der Universität Konstanz ist, setzt auf die „trade intensity“: Daten werden häufiger in turbulenten Zeiten, wenn viel Handel getrieben wird, und weniger in ruhigen Zeiten erhoben. Diese sogenannte intrinsische Zeitreihe verläuft bei hoher Marktaktivität schneller und bei Marktberuhigung langsamer. „In den Zeiträumen intensiven Handelns ist das Risiko höher, weil sich viel ändert. Hier ist auch viel Information vorhanden“, erklärt die Forscherin. Die Daten geben den Rhythmus vor, das erlaubt, bei der Datenerhebung den „Pulsschlag“ der Marktaktivität realistischer wiederzugeben und Extremereignisse besser zu prognostizieren.
Roxana Halbleib betreibt Ökonometrie, das ist ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft, in dem auf der Grundlage von mathematisch-statistischen Methoden ökonomische und finanzwirtschaftliche Phänomene quantifiziert werden. Für ihr neues Modell nutzt sie einen mathematischen Ansatz, der bereits in anderen Disziplinen wie der Medizin etwa bei der Herzschlagdynamik oder in den Naturwissenschaften etwa bei meteorologischen Turbulenzen oder seismischen Aktivitäten zum Einsatz kommt. Die Variable t, die die kalendarische Zeit beschreibt, wird dabei durch eine Funktion von t ersetzt. „Dies gibt die flexible, realitätsnahe Prämisse wieder, um zukünftige extreme Finanzrisiken zu vermeiden“, so Roxana Halbleib.
Mit dem Heisenberg-Programm möchte die Deutsche Forschungsgemeinschaft herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die alle Voraussetzungen für die Berufung auf eine Professur erfüllen, ermöglichen, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Voraussetzung sind die auf internationalem Niveau hohe wissenschaftliche Qualität und Originalität des Forschungsvorhabens. Die Förderdauer beträgt maximal fünf Jahre. Das Heisenberg-Programm ermöglicht mehrere Fördervarianten, darunter Stipendium, Stelle oder Professur. Das Programm ist sehr flexibel und erlaubt es, im Verlauf der fünfjährigen Förderung zwischen den Varianten zu wechseln.
Faktenübersicht:
- Die Konstanzer Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Roxana Halbleib wird ab 2019 durch das Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert
- Forschungsprojekt zur Verbesserung der Vorhersagbarkeit von Finanzrisiken
- Förderdauer maximal fünf Jahre
- Mehrere Fördervarianten möglich: Stipendium, Stelle, Professur
- In der Laufzeit ist ein Wechsel zwischen den Varianten möglich.
Presseinformation: Nr. 8/2019