Freiwillig oder verpflichtend? Wie Motivation bei Corona-Maßnahmen zerstört werden kann
Inwieweit sind die Menschen bereit, sich an Corona-Maßnahmen zu halten, wenn diese freiwillig oder verpflichtend sind? Dieser Frage geht Katrin Schmelz in einer neu veröffentlichten Studie nach.
Die vorhandene Literatur deutet in zwei Richtungen: Zum einen können verpflichtende Maßnahmen die Akzeptanz verbessern, weil man davon ausgehen kann, dass sich auch andere Menschen an Gesetze halten. Zum anderen kann durch verpflichtende Maßnahmen aber auch die Eigenmotivation der Menschen zerstört werden, die freiwillig und selbstverantwortlich zur Kooperation bereit sind.
In einer Ad-hoc-Corona-Online-Umfrage des Exzellenz-Clusters „The Politics of Inequality“ wurden knapp 4.800 Erwachsene im April/Mai 2020 in Deutschland gefragt, inwieweit sie damit einverstanden sind, sich selbst an verschiedene Corona-Maßnahmen zu halten, wenn diese entweder von der Regierung dringend empfohlen werden, aber freiwillig bleiben, oder wenn sie verpflichtend sind und kontrolliert werden.
Insgesamt ist die freiwillige Bereitschaft relativ hoch. Allerdings zeigen bei allen Maßnahmen mindestens 25% der Befragten eine Kontrollaversion - eine geringere Akzeptanz einer Maßnahme, wenn diese erzwungen wird, als wenn sie freiwillig bleibt. Besonders für eine Corona-Warn-App und Impfungen ist das durchschnittliche Einverständnis höher, wenn diese Maßnahmen freiwillig anstatt verpflichtend sind. Das gilt auch in geringerem Masse für Kontakteinschränkungen. Dagegen ist das durchschnittliche Einverständnis, selbst eine Maske zu tragen und Reisen einzuschränken unter beiden Bedingungen gleich, also unabhängig davon, ob diese Maßnahmen auf freiwilliger oder verpflichtender Basis umgesetzt sind.
Kontrollaversion ist mit Misstrauen gegenüber der Regierung verbunden. Je weniger Vertrauen, desto mehr kann Kontrolle die freiwillige Motivation untergraben. Die Zerstörung freiwilliger Motivation durch kontrollierte Maßnahmen ist auch unter älteren Ostdeutschen geringer, die die DDR erlebt haben.
Verpflichtung kann wirksam sein, wenn eine Maßnahme leicht durchsetzbar ist, wenig Kontrollaversion hervorruft und von den meisten Menschen eingehalten werden muss, was z.B. für das Tragen von Masken, Reisebeschränkungen und Kontaktbeschränkungen gilt. Bei Corona-Warn-Apps und Impfungen, die schwer durchzusetzen sind und eine erhebliche Kontrollaversion hervorrufen, kann die verpflichtende Umsetzung kontraproduktiv sein.
Publikation: Schmelz, Katrin (2021). Enforcement may crowd out voluntary support for Covid-19 policies, especially where trust in government is weak and in a liberal society. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS). doi.org/10.1073/pnas.2016385118
Dr. Katrin Schmelz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für angewandte Wirtschaftsforschung und am Thurgauer Wirtschaftsinstitut an der Universität Konstanz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind der Zusammenhang zwischen (intrinsischer) Motivation und Anreizen, und der Einfluss von Kultur und Institutionen auf Verhalten.